Rainer Lange - Quell der Heilung
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Soldat sein heisst auf Draht sein

von Rainer Lange


Diszi König

Die nächsten Tage liefen so ab, dass ich die verschärfte Ausgangssperre jeden Tag erneut brach, um nach Hause zu gelangen. Ich bekam also 21 mal 3 Wochen Arrest aufgebrummt, macht 21 x 21, gleich 441 Tage!
Hinzu kamen die 21 Tage für die Fahnenflucht. Das macht 462 Tage, also schon mal mehr als 1 Jahr.
Hinzu kommt auch noch, dass jeder Tag Arrest nachgedient werden muss! Demnach hätte ich also noch eine längere Zeit zusätzlich bei der Bundeswehr zubringen müssen! Was hieße, dem Steuerzahler die ganze Zeit ungewollt auf der Tasche liegen zu müssen.

Aber es sollten noch eine große Menge weiterer Disziplinarstrafen folgen und so wurde ich bald zum ungekrönten "Diszikönig" erkoren. Niemand vor mir und auch niemand nach mir hat jemals diese Anzahl an Disziplinarstrafen bekommen!

Junge, Junge, da steht mir ja was bevor, wenn nicht bald etwas Entscheidendes geschehen wird! So dachte ich und hoffte immer, mir würde noch etwas Rettendes einfallen, denn ein wenig mulmig war mir plötzlich schon - wie auch vorher bereits so manches mal.

Nachdem die Grundausbildung vorbei war, wurden wir erst so richtig „gefickt“!
Das war schon damals bei der Bundeswehr die Umschreibung für ein gehöriges „Ranngenommen Werden“. Klingt nicht schön, ich weiß, aber was will man denn erwarten? Es war bei uns nicht etwa so, wie man es sonst immer hörte, nämlich dass die Grund-ausbildung zunächst die größere Anstrengung bedeutete, und man dann seine Ruhe und einen faulen Job hätte.
Nein, hier war es anders! Die Grundausbildung war hart, aber danach ging es erst richtig los! Jeden Tag wurde unsere Ausrüstung per Appell „begutachtet“. Jeden Tag Formalausbildung, jeden Tag ein Gewaltmarsch. Sehr oft „Infanterie Gefechtsausbildung“, was ein Wühlen im Matsch bedeutet. Zwischendurch stand auch noch Schießen mit anschließendem Waffen-reinigen und das Säubern der Ausrüstung, Schuhe putzen sowie theoretischer Unterricht, und immer wieder Formalausbildung auf dem Dienstplan! Das war schon alles sehr, sehr anstrengend.
Es sickerte immer öfter die Vermutung durch, dass wir ein Testbataillon seien, in dem erprobt werden sollte, was mit verschärftem Druck alles zu erreichen wäre! Und wir bekamen auch immer mehr die Widersinnigkeiten der Vorschriften zu spüren. „Nachts ist mit Dunkelheit zu rechnen!“ ist so ein Beispiel. Es soll die Nachtausbildung regeln und manche, ganz bescheuerte Exemplare der Spezies Soldaten müssen ja darauf ge-stupst werden, dass es meist’ des Nachts auch dunkel sein könnte!

Das ist halt so mit den Vorschriften. Sie löschen mit der Zeit das Gehirn total aus und schränken das Denkvermögen sehr stark ein. Die Soldaten sind kaum noch in der Lage, jemals wieder allein zu denken und irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Es wird ihnen ja auch ständig strikt untersagt, selbst zu denken. Sollte es der Soldat jedoch trotzdem wagen, allein zu denken, bekommt er sogleich einen „Anranzer“ in der Form, dass ihm geraten wird: Überlass’ das Denken den Pferden, die haben einen größeren Kopf.
So wird er ständig einer Gehirnwäsche unterzogen, die umso mehr wirkt, je länger er bei diesem Verein ist!

Ich musste auch folgende Begebenheit erleben, als mein „Stubenkamerad“, der wegen seines Studienbeginns sich auf 2 Jahre verpflichtet hatte, vom Unteroffizierslehrgang zurückkam. Am Ende wird dann eine Prüfung abgelegt, die den Aufstieg in das „Unteroffizierskorps“ dokumentiert. Ich hatte vorher schon gehört, dass er bestanden hatte und so wollte ich ihm dazu gratulieren. Ich rief ihm wörtlich und freundschaftlich zu:
Hallo Manni, gratuliere zu deinem bestandenen Uffz-Lehrgang,
woraufhin er mich schroff unterbrach und mich anfauchte:
Panzergrenadier Lange, duzen Sie mich gefälligst nicht, stillgestanden und machen Sie Meldung!

Als ich diese verachtenswerte, aber Bundeswehr typische Reaktion verspürte, entgegnete ich nur: Dann lass’ mich doch in Ruh’, du Blödmann, ließ ihn stehen und ging weiter, ohne mich um irgendwelche weiteren Befehle zu kümmern. Er hatte es dann offenbar doch vorgezogen, keine weitere Aktion daraus zu machen.
Wir hatten uns ja schon am ersten Tag besonders über diese Gefahr unterhalten, und uns geschworen, ihr nicht zu erliegen und uns niemals so zu verhalten!
Ich muss diese „armen“ Menschen doch etwas in Schutz nehmen, denn wenn sie täglich mit solcherlei Worten und mit diesen Mechanismen berieselt werden, kann dem ein schwacher Charakter nur begrenzt standhalten. Und diese Art Menschen-(material) braucht ja die Armee. Solange sie von „Befehl und Gehorsam“ geleitet werden, ist für sie die Welt in Ordnung. Sie haben dann verlässliche und enge Strukturen. Sie reagieren wie ein Hund, der lieber von seinem Herrchen geschlagen, als von einem Fremden gestreichelt wird.

Es sind doch eigentlich nur Mitleid erregende Kreaturen, die der „Staat im Staat“ kaputt gemacht hat, und ihnen keinerlei Freiraum mehr lässt. Mit dem Resultat, dass sie diesen Freiraum später nicht mehr wollen, weil sie mit ihm umzugehen verlernt haben. Ihn sogar als gefährlich und bedrohlich empfinden, weil sie sich nicht mehr in ihm zurechtfinden, ohne ihren gewohnten „Halt“ zu spüren.
Es ist das gleiche Prinzip, nach dem ein Zuhälter im klassischen Sinne sich sein unfertiges und total unsicheres „Mädchen“ abhängig und gefügig macht!

Leider musste ich auch die bittere Erfahrung machen, dass sich sehr viele junge Menschen zu kleinen „Dreckschweinen“ entwickeln, sobald die familiären Bande nicht mehr schützend zugegen sind und sie ersetzt wurden durch strenge, diktatorische Strukturen. Wenn sie zu sehr unter starkem Gruppenzwang stehen, und ihnen keine fairen und menschlichen Perspektiven mehr bleiben, neigen sie zu diesen Auswüchsen! Heute kommt auch noch das Problem des Rauschgiftes hinzu, aber hierzu fehlen mir die eigenen Erfahrungen.
Ich musste oft erleben, dass sie sich früher oder später aufgegeben haben. Dies äußerte sich darin, dass sie zügellos getrunken, oder besser gesagt gesoffen haben, natürlich auch maßlos geraucht und sich letzt endlich auch irgendwann nicht mehr gewaschen haben! Ebenso putzten sie keine Zähne mehr und verwahrlosten auf ganzer Linie – Hauptsache war, dass die Knöpfe der Uniform allesamt geschlossen waren.
Einem Soldaten haben die anderen „Kameraden“ einmal einen Streich gespielt. Dieser bundeswehr-typische Streich hat inzwischen Tradition erlangt. Er wird bezeichnender Weise „Heiliger Geist“ genannt!
Besagter Soldat lag mehr oder weniger volltrunken und natürlich in kompletter Arbeitsuniform oben auf seinem Bett, in unserem 8-Mann Zimmer. In dem Bett darunter lag ebenfalls ein abgefüllter Kollege, der in seinem Vollrausch nichts mehr merkte. Wir nahmen eine mit warmem Wasser gefüllte Schüssel und legten seine Hand dort hinein.
Nach kurzer Zeit stellte sich der erwartete „Erfolg“ ein und er pinkelte los. Als wollte er einen Rekord brechen, soviel Flüssigkeit gab er von sich. Die anderen verfolgten dieses Ergebnis staunend, denn es hörte einfach nicht auf, nach unten zu strömen. Ein ganzer Fluss schien ausgelaufen zu sein. Unter seinem Bett lag natürlich der andere Zimmergenosse. Er bekam das meiste ins Gesicht! Doch es schien ihn nicht weiter zu stören, denn er wischte lediglich kurz über seinen Mund und lallte: Du dummes Schwein, drehte sich um und schlief danach innig weiter.

So war der Soldat oft unter seiner „sauberen“ und makellosen Bundeswehrkluft sehr verdreckt, und man möchte sich oft gar nicht ausmalen, wie es wirklich darunter aussah und besonders darunter roch!
Aber es war alles auch nicht so schlimm, wenn nur die Haare kurz und die Schuhe geputzt waren! In den immer zu langen Haaren lag der meiste Konfliktstoff zwischen den Jungen und den Alten.

Sobald unser Haupthaar wieder eine Länge erreicht hatte, dass der Kragen berührt wurde, brach immer schier die Welt zusammen. Wir wurden dann zum Friseur gejagt, besser gesagt, dorthin befohlen!
Der Friseurladen befand sich auf dem Kasernengelände. So hatte man es zwar nicht weit, doch außer für die Berufssoldaten, war es eine Strafe, dorthin zu müssen! Der Inhaber verstand sein Handwerk nämlich nicht besonders. Dieser Anspruch bestand auch damals gar nicht an einen Herrenfriseur. Es gehörte sich einfach nicht für einen Mann, eitel zu sein.
Hier ging es lediglich darum, dem immerzu wachsenden Übel Einhalt zu gebieten. Es wurde auch manchmal der sprichwörtliche „Pottdeckel“ auf den Kopf gelegt, um rundherum alles „Gestrüpp“ einfach wegzuschnibbeln.

Sie hatten gefälligst wieder so auszusehen, wie man schon im 3. Reich aussah! Die Seiten mussten kahl geschoren sein und das Haupthaar ganz kurz. So, wie sehr viele Leute heutzutage wieder ihre Frisuren tragen!
Mir ist es unbegreiflich und ich bekomme jedes Mal Magenschmerzen und andere Beklemmungen, wenn ich so etwas sehe!!
Zu der Zeit waren lange oder längere Haare bei der Jugend ein „Muss“. Durch die verloren gegangene Achtung vor den Älteren, hervorgerufen durch das Zeitalter der Beatles, war es eine Pflicht der jungen Leute, sich die Haare lang wachsen zu lassen. Wir wollten uns ja deutlich abgrenzen von den „Alten“, die den Krieg mit verursacht, bzw. geduldet und zugelassen haben.
Die Jugend hat sich damals das historische Recht erkämpft, endlich (wieder) lange Haare zu tragen. So manches Mal wurde dafür das Abitur oder das Studium geopfert, da wir deswegen aus Schulen oder Universitäten einfach „’rausflogen“!
Damit ist vielleicht auch die fehlende Phantasie bei mir erklärt, heute zu verstehen, warum sich die Jugend freiwillig wieder einen derartigen „Nazi-Haarschnitt“ antut.
Helmut Schmidt, zu der Zeit Verteidigungsminister, hatte die Haarnetze für Soldaten eingeführt. Es war bei ihm also erstmalig erlaubt, seine „Haarpracht“ lang zu tragen. Voraussetzung, sie musste im Dienst mit einem Haarnetz entsprechend abgedeckt werden. Dies führte allerdings zum Ärger, oder besser gesagt zur Wut der meisten Berufssoldaten. Wir bekamen diese Wut jeden Tag wieder aufs Neue zu spüren.
Helmut Schmidt sprach damals den legendären Satz, dass ihn nicht interessiere, was auf dem Kopf, sondern was im Kopf „seiner“ Soldaten stecke!
Genau genommen stimmt das ja alles vorn und hinten nicht. Es wird dem Soldaten per Befehl das „Denken“ doch gar nicht erlaubt, da ja bekanntlich „die Pferde einen größeren Kopf“ haben. Der Soldat ist lediglich dafür da, Befehle auszuführen und als „Kampfmaschine“ zu fungieren – und zu töten eben!
Solche markigen Sätze kommen zwar immer erst einmal gut an, beinhalten jedoch gar nichts. Helmut Schmidt war ohnehin nicht ein „Freund“ unserer Generation. Das potenzierte sich noch, als er später Kanzler war. Er lies uns oft ein herzloses Verhalten spüren, während seine „rechten“ Gegner an ihm kritisierten, er sei lediglich in der falschen Partei!
Schmidt hat auch nichts an der Diktatur in China auszusetzen. Selbst nach dem Gemetzel auf dem Platz des „Himmlischen Friedens“, als etwa 3 – 4.000 Menschen vorsätzlich von Panzern überrollt wurden, meinte er lediglich, man dürfe sich nicht in die „inneren Angelegenheiten“ Chinas einmischen!

Also, nach dem so genannten „Haarerlass“ von ihm bekamen, speziell die Friseure in Bundeswehrkasernen, einen nie vorher gekannten Notstand zu spüren. Kaum jemand ließ sich noch von ihnen die Haare schneiden, abgesehen von einigen Berufssoldaten.

Mein Leidensgenosse und Gleichgesinnter, Zietler musste mit mir zusammen nun sehr oft die Flure fegen, oder die Duschen säubern, da wir für nichts anderes mehr „zu gebrauchen“ waren. Man konnte es einfach nicht riskieren, uns noch woanders einzusetzen, da wir nur, wie es hieß, „Scheiße machten“.
Auch hier lachten wir uns über viele Kleinigkeiten schlapp und freuten uns, endlich „soweit gekommen“ zu sein! Endlich hat man uns vom Dienstalltag getrennt. Endlich hat man uns ernst genommen! Wir waren ab jetzt, wie die Bundeswehrvorschrift intern so schön lautete, ZbV. Damit soll gemeint sein: „Zur besonderen Verfügung“!
Sie wollten in den normalen Dienstablauf Ruhe hineinbekommen. Unsere Aufmüpfigkeit und unsere andauernden Störmanöver erschwerten den Ablauf, wie gesagt wurde, ganz erheblich. Auch eines schönen Tages sollten Zietler und ich wieder den unteren Flur reinigen. Der rationellen Arbeitsteilung wegen fegte Zietler vorher, und ich feudelte anschließend. Zu diesem Zweck war ich diesmal abwechslungsweise nicht mit einem Gewehr, sondern mit Eimer und Feudel „bewaffnet“, um im Bundeswehrjargon zu bleiben. Ich hörte hinter einer Tür den Kompaniechef brüllen und so wartete ich, bis sich die Tür öffnete und er herauskam. Mit schräg und nach unten gehaltenem Eimer in der Hand, wartete ich auf den richtigen Augenblick. So sehr Zietler sich auch bemühte, sein Lachen zu unterdrücken und die Hand auf seinen Mund presste, hielt er es irgendwann nicht mehr aus und prustete los. In dem Moment öffnete sich die Tür und der Chef kam heraus. Ich schüttete in diesem Augenblick den Eimer Wasser über sein Bein und seinen Fuß und tat ganz beleidigt, dass er, während ich den Flur reinigte, mir in die Quere kam.
Wann ich hier wohl mal in Ruhe den Flur schrubben kann?, rief ich genervt.
Lange, was machen Sie denn da, Sie Schwein? gab er entsetzt von sich.
Das war doch jetzt Absicht von Ihnen!
Wo denken Sie denn hin, ich verbiete mir solche Unterstellungen, erwiderte ich empört, und Zietler verschwand endgültig im Keller, um seinem Lachen freien Lauf zu lassen.
Ich will nicht, dass dies noch mal vorkommt, Lange. Passen Sie gefälligst auf. Das kann doch nicht so schwer sein. Soldat sein heißt auf Draht sein! Von nun an nehmen Sie sich nur noch die oberen Flure vor.
Danach konnte auch ich nicht mehr an mich halten und musste ebenfalls meinem Drang zu Lachen nachgeben.

 

 

© Rainer Lange
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